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Wasser leer, Akku tot, Herz voll

Wie aus einer vermeintlich lockeren 10-Kilometer-Wanderung in Cornwall plötzlich 24 Kilometer wurden, das Wasser viel zu früh ausging, ich zwischen Verzweiflung und Verzücken schwankte – und welche Bedeutung eine kleine, unscheinbare Muschel dabei hatte.

Die Ausgangslage

Zu den Bedhruthan Steps – auf diese Wanderung freute ich mich, seit ich in einem Blog davon gelesen hatte. Moosbewachsene Steine zum Draufrumklettern bei Ebbe, tolle Aussichten von den blumenübersäten Klippen, menschenleere Wege und die Sage vom Riesen „Bedhruthan“. Dieser soll Felsen im Meer benutzt haben, um über ebenjenes zu springen. Diese sollten auch gleich das Ende meiner Wanderung darstellen – wie naiv ich doch war. Lockere 10 Kilometer dachte ich (wie ich darauf kam, kann ich im Nachhinein auch nicht mehr genau sagen). Ich hatte mir notiert, wo ich den Bus zurücknehmen kann, Proviant und Badesachen eingepackt und war somit startklar.

Wie harmlos alles begann

Von Newquay aus marschierte ich bei Ebbe über den Strand los – und kam nicht weit bis ich zum ersten Mal anhielt. Unglaublich, wie weit man hinauslaufen konnte, da das Meer weit zurückgegangen war. Die zum Vorschein gekommenen Felsen waren mit Moos und Muscheln bedeckt und diverse Höhlen wurden sichtbar. Ich verbrachte dort schon ziemlich viel Zeit und nahm ein kurzes Bad im Meer. Weiter ging es den Weg hinauf zu den Klippen. Und auch hier nochmals: einfach wunderschön! Die Wiesen standen in voller Blüte, das Meer schillerte türkisfarben, das Wetter war herrlich, und die Wege waren praktisch menschenleer. Ich war so zufrieden und glücklich, dass ich das Gefühl heute noch abrufen kann. Und ich wusste: Hier ist definitiv ein Herzensort für mich. So lief ich weiter und weiter, Klippen rauf und runter und genoss einfach nur die Aussicht und das Freiheitsgefühl. Dass ich keine Ahnung hatte, wo ich eigentlich genau war, habe ich dabei komplett ausgeblendet.

Die Schattenseiten der Bedhruthan-Steps

Die lange suche nach den Steps

„Wenn ich um diese Kurve biege, sehe ich die Steps“, dachte ich – bestimmt acht Mal. Doch dem war nicht so. Ich lief, bestaunte, genoss und ging verschwenderisch mit meinem Proviant um. Zu verschwenderisch. In einem kleinen Ort lief ich sogar an einem Kiosk vorbei und überlegte, ob ich noch Wasser kaufen soll. Ich entschied mich dagegen – so weit ist es ja nicht mehr. Doch egal wie weit ich lief, ich sah weder mein Ziel noch den Busparkplatz, den ich dort erwartete.

Die Hitze machte mir zu schaffen

Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel, und irgendwann band ich mir mein Badetuch um den Kopf, um einen Sonnenstich zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt fiel mir auch auf, dass ich schon ziemlich lange niemandem mehr begegnet war. Als ich auf dem Handy nachsehen wollte, wo ich mich genau befand, stellte ich fest, dass ich kein Internet hatte und der Akku fast leer war. Da hatte ich wohl zu viele Fotos und Videos gemacht.

Schwindender Optimismus

Langsam wurde mir mulmig zumute. Ich musste mir eingestehen: Ich hatte mich wohl verlaufen. Ich wusste nicht, wie lang es noch bis zur Zivilisation war, und die Wasserflaschen waren längst leer. Doch den Kopf in den Sand zu stecken, half nichts. Also lief ich weiter – Kilometer um Kilometer. Die Schönheit der Umgebung war bittersüß; alles war nach wie vor wunderschön, doch ich war erschöpft, erhitzt, durstig und wurde zunehmend verzweifelt.

Die Muschel

Der Moment der Verzweiflung

In einem dieser Momente wünschte ich mir jemanden an meiner Seite. Jemand, der sagt: „Hey, kein Problem, wir schaffen das schon, und in ein paar Stunden lachen wir darüber.“ Aber da war niemand. Also lief ich weiter, denn Stillstand würde mich nicht voranbringen – wohin auch immer ich lief.

Die Muschel – mein Wendepunkt

Dann entdeckte ich plötzlich eine Muschel im Gras. Eigentlich machte es keinen Sinn, dass sie so hoch oben auf den Klippen lag, aber da war sie. Keine Ahnung warum, aber ich beschloss, dass sie mir nun Kraft und Energie geben würde. Ich schloss sie fest in meine Hand und lief entschlossen weiter. Von da an war ich diejenige, die mir selbst sagte: „Hey, kein Problem, du schaffst das schon, und in ein paar Stunden lachst du darüber.“ Denn wenn ich mich nicht auf mich selbst verlassen kann, auf wen dann?

Der Weg zurück in die Zivilisation

Ich lief weiter und weiter, und plötzlich sah ich unten einen Strandabschnitt, an dem Leute badeten. Dahinter standen ein paar Häuser – Zivilisation, endlich! Rasch lief ich hinunter und fragte die erste Person, die mir begegnete, ob es hier einen Kiosk oder etwas Ähnliches gäbe. Sie verwies mich auf einen kleinen Laden am Strand, da alle anderen sicher schon geschlossen hätten. Als ich dort ankam, sah ich, dass auch dieser seit zwanzig Minuten zu war.

Das ersehnte Wasser

Doch jemand stand noch im Laden, und meine Höflichkeit war mir in dem Moment egal. Ich klopfte an die Tür, bis der Verkäufer herauskam. Als er mich sah – überhitzt, mit spröden Lippen und vermutlich etwas verzweifelt – wies er mich nicht ab, sondern gab mir so viel Wasser, wie ich wollte. Selten habe ich etwas so sehr genossen wie in diesem Moment die Wasserflasche anzusetzen. Von da an ging alles schnell: Ich hatte Glück und erwischte den letzten Bus zurück nach Newquay. Die Fahrt konnte ich frisch gestärkt geniessen, und den Abend ließ ich entspannt im Hostel mit einem riesigen Abendessen ausklingen.

Was genau habe ich nun verloren und was gefunden?

Als Fazit muss ich sagen, ich weiss bis heute nicht, warum ich mich so verlaufen habe. Ob ich die Bedhruthan Steps gesehen, aber nicht erkannt habe – oder ob ich ihnen gar nie begegnet bin, weiß ich nicht. Es wurden jedenfalls mehr als doppelt so viele Kilometer, wie ich anfangs geplant hatte.

Was ich aber weiß: An diesem Tag habe ich nicht nur die Akkureserven meines Handys, sondern fast auch die meines Körpers verloren. Ich habe den richtigen Weg aus den Augen verloren und beinahe die Hoffnung in mich selbst. Doch wichtiger ist, was ich gefunden habe: Einen Ort, der trotz aller Widrigkeiten mein Herz im Sturm erobert hat, die Erkenntnis, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann – und eine Muschel, die den Weg nach Hause gefunden hat und nun einen Ehrenplatz in meinem Wohnzimmer hat.

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